Angebot und Nachfrage. Bemerkungen zum Amerikanischen Bildungsmarkt

Die schwierigste Hürde auf meinem Weg vom jungen Kärntner Gymnasiasten zum Studenten in der steirischen Alma Mater war olivgrün und hatte einen Namen. Mandl, Mjr. Den freien Tag zur Immatrikulation musste ich ihm im Wege des Rapports abtrutzen. Das Prozedere in Graz, etwa eine Woche später, war noch unspektakulärer – Schlange stehen vor der Studienabteilung, zwei Formulare ausfüllen und ein Lichtbild in jenes beige Dokument kleben, das einen nach kurzer Wartezeit, Stempelmarke, Rundsiegel, alles muss seine Ordnung haben, als Mitglied der regionalen Intelligentsia ausweisen würde, das war’s.
Szenenwechsel, knapp fünf Jahre später. Bei einer großen Schüssel Spaghetti brüte ich mit Charles, meinem Apartmentkollegen hier in New York, über der Frage der idealen Bewerbungsstrategie für seinen jüngeren Bruder, der momentan „Junior“ ist, wenn alles gut geht also in ca. 22 Monaten aufs College kommen wird. Neben uns liegen kiloweise dicke Hochglanzbroschüren mit so klingenden Namen wie Stanford, Harvard, NYU oder Princeton am Titelblatt, die Lust auf das „Produkt“ postsekundäre Ausbildung machen wollen. Das wäre aber gar nicht nötig, beschäftigt sich Charles’ Familie doch schon seit über sechs Jahren mit kaum einem anderen Thema als der richtigen Universität für ihre Sprösslinge. Auch ein 27-seitiges Bewerbungsformular, das um zahlreiche Beilagen zu ergänzen ist, und mehrere landesweit abgehaltene Tests, die monatelange Vorbereitung erfordern, können nicht mehr abschrecken. Warum das ganze Tam-Tam?
Net Present Value = – Investment + Discounted Future Cash-flows
Weil Bildung wertvoll ist. Weil sie fordert und fördert. Weil man sie in sich aufsaugen und zum Wohle der Allgemeinheit anwenden sollte. Weil sie den Menschen erst zum Menschen macht. Charles, da bin ich mir sicher, würde jeden dieser Sätze mit einem Fragzeichen versehen. Für ihn ist die Antwort nämlich kristallklar: Money. Er erzählt, dass er von seinen Eltern schon im zarten Jugendalter zum Lernen angetrieben wurde, obwohl er ohnehin nur exzellente Zensuren nach Hause brachte. Jede freie Viertelstunde war minutiös verplant mit Sport, Sozialdienst und Clubs. Er hat es auf die Duke geschafft, seine erste Wahl wegen der Sportanlagen am Campus übrigens, und dort wieder dasselbe Bild – der Getriebene –, doch nun war es schon er selbst, der sich motivierte. Einziges Ziel: NYU School of Law. Warum? Geld.
Für amerikanische Familien ist die Ausbildung der Kinder eine Kardinalfrage, egal über welchen sozioökonomischen Hintergrund sie verfügen. Auch wenn der American way of life vom zum Millionär mutierten Schuhputzer versinnbildlicht wird, führt dessen Lebensweg im Regelfall über eine gute oder gar Eliteuniversität. Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt in den USA laut Zensus 2004 bei 24.020 Dollar, in New York bei 50.617. Das Bruttoeinstiegsgehalt eines Princeton-Absolventen liegt bei etwa 80.000 Dollar. Der Median-Absolvent der NYU School of Law (50% verdienen mehr, 50 % weniger) kann mit 137.000 Dollar rechnen. Und Charles, der Glückliche, ist in erwartungsvoller Vorfreude seines Dienstantritts bei der sagenumwobenen Kanzlei Wachtell, Lipton, Rosen & Katz, die ihren Greenhorns dieses Jahr – kein Scherz – 280.000 brutto bezahlt. Charles hat jetzt Tränen in den Augen vom Erzählen. Zu Recht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der enorme Nettobarwert einer Investition in ein Studium an einer Eliteuniversität zu einem Run auf diese Institutionen führt. Angehende Studenten selektieren beinhart und üben einen starken Erwartungsdruck aus. Für gutes Geld in Form von Studiengebühren erwarten sie sich noch mehr Geld – nach dem Studium.
Nichts ist so subjektiv wie ein Objektivierungsverfahren
Jerome Karabel, der einflussreiche Soziologe von der UC Berkeley, kritisiert in seinem Buch „The Chosen“ das partiell defiziente Selektionssystem amerikanischer Spitzenuniversitäten und räumt mit der klischeehaften Vorstellung auf, dort würden nur die klügsten Köpfe aufgenommen. Seine Studie blickt weit zurück in die Vergangenheit. Vor genau 100 Jahren führte Harvard einen Aufnahmetest als allgemeines Zugangskriterium ein, um die Spreu seiner Bewerber vom Weizen zu trennen. Zum Entsetzen der Administration schwemmte diese Neuerung Katholiken und vor allem Juden in die Hörsäle, die auf dem noblen Campus vorher kaum gesichtet wurden. Die jüdischen Kandidaten waren den meisten WASP-Söhnen haushoch überlegen, was letzteren viele Studienplätze kostete und sich negativ auf das Fund-raising auswirkte. Mit Quotenregelungen und anderen Steuerungsmaßnahmen wurde erfolglos experimentiert, dann beschloss man gemeinsam mit den Kollegen von Princeton und Yale, das System auf den Kopf zu stellen und die Aufnahmekriterien „Leistung“ bzw. „vielversprechender Kandidat“ zu redefinieren. Ein neuer Elitebegriff wurde geformt. Das sollte die Ivy League bis zum heutigen Tage prägen.
Man begann sich für die Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers zu interessieren, Noten waren nur mehr ein Faktor von vielen; den Zulassungsentscheidungen legte man hunderte Daten sowie ein ausführliches Aufnahmeinterview zu Grunde. Wenn uns dieses System bekannt vorkommt, so liegt das daran, dass es immer noch praktiziert wird. Was aber waren die Konsequenzen nach seiner Einführung? Bis zum Jahr 1933 schrumpfte der Anteil jüdischer Studenten von 50 % auf 15 %, die neuen Regeln stellten sich als „Erfolg“ heraus. Kandidaten wurden trotz unterdurchschnittlicher Testergebnisse aufgenommen weil „we just thought he was more of a guy“, wie es ein Yale-Dekan formulierte. Harvard evaluierte vier Facetten: personal, academic, extracurricular und athletic. Auf körperliche Fitness wurde viel Wert gelegt, waren siegreiche College-Sportmannschaften doch die besten Werbeträger einer Universität, zu neudeutsch ein Marketing-Tool. Gleichzeitig entwickelte man den Trieb, die Studentenschaft zu diversifizieren, um nicht zu viele eindimensionale Genies aufzunehmen. Denn nur wenn die „Partyfraktion“ zumindest 20 % ausmacht, ist die Stimmung auf dem Campus motivierend hoch. Das „happy-bottom-quarter“ war geboren. Die entscheidende Frage für die Rektorate war nun folgende: Welche Eigenschaften muss der schwache aber lebensfrohe Student aufweisen, damit er später trotzdem ein hochgradig erfolgreiches Leben führt, am besten ausgedrückt in Dollars – die ja als Spenden zurück in seine Alma Mater fließen könnten? Die Lösung dieses Dilemmas führte zur Ivy-League-Universität, wie wir sie heute kennen. If you want to graduate winners, you have to admit winners. Interessant war nicht mehr, wie gut die Noten während des Studiums waren, sondern wie wacker man sich im Leben danach schlägt. Bücherwürmer waren nicht länger gefragt, gesucht waren primär Allrounder, die ein vernünftiges Maß an intellektueller Kapazität mit sozialen Kompetenzen und mentaler Stärke verbanden.

Ein weiteres Beispiel sind Kinder von Alumni, die sogenannten „legacy applications“. Sie hatten (wahrscheinlich nicht nur) in Harvard in den Jahren 1985 bis 1992 eine mehr als doppelt so hohe Aufnahmerate als der durchschnittliche nicht-legacy-, nicht-Sportler-Bewerber. Auch ihre Studienleistungen sind nicht gerade berühmt. Man kann das korrupt nennen oder es gutheißen, trotzdem handelt es sich um rationales Marktverhalten, gehört zum Idealbild eines herzeigbaren Absolventen doch auch die Eigenschaft, großzügig zum derzeit 25,9 Milliarden Dollar großen Harvard-Geldberg beizutragen, und die ist bei Absolventen zweiter Generation besonders ausgeprägt.
Abschließend kann man konstatieren: US-amerikanische Spitzenuniversitäten vermarkten sich – stets mit einem Auge auf höhere Einnahmen – nach allen Regeln der Kunst. In der akademischen Welt durch forscherische Spitzenleistungen und hervorragenden Unterricht. Ihren Bewerbern, Studenten, Alumni und Sponsoren hingegen bieten sie mehr, sie vermarkten einen Luxusartikel, ein Premiumprodukt, eine „exquisitely constructed fantasy of what it means to belong to an élite“.
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