12 November 2005

Widerruf

Ich habe in diesem Blog am 20. Oktober 2005 unter der Überschrift "Sich bestätigende Klischees" die Behauptung aufgestellt, US-Amerikanern sei der globale Klimawandel egal. Hiermit widerrufe ich diese Aussage als falsch. Ich entschuldige mich dafür, Sie bzw. Dich, meine geschätzen Leserinnen und Leser, inkorrekt informiert zu haben.

Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Amerikaner sind höchst besorgt über das Ozonloch, den anthropogenen Treibhauseffekt, die seit Jahren beobachtbare Erwärmung der Atmosphäre über jede statistisch erklärbare Varianz hinaus und als Konsequenz den Rückgang der Diversität von Fauna und Flora in allen Klimazonen.

Wir Europäer halten doch nur an längst überkommenen Stereotypen fest, glauben, die Bürger zwischen New York und Los Angeles würden sich einen Dreck scheren um die Zukunft des Ökosystems Erde, würden auf Kosten künftiger Generationen unbedacht nicht erneuerbare Ressourcen vergeuden und den Rest der Welt noch auslachen ob seiner wettbewerbsschädlichen Klimaschutzbemühungen. Doch all das ist - wie schon gesagt - grundwegs falsch. In den letzten Wochen hat sich in Amerika eine tiefgreifende Sensibilität für die Anliegen der Natur entwickelt. Gerade noch hat die Hauspostille des Establishments - das wirtschaftsliberale Wall Street Journal - feurige Plädoyers für benzinfressende Automobile gehalten, weil sie angeblich nicht nur Ausdruck der amerikanischen Individualität sind sondern vor allem den Wirtschaftsmotor brummen lassen. Darüber hinaus wäre die Flucht vieler zehntausender armer Menschen aus Lousiana nicht möglich gewesen, hätten nicht gutherzige Fahrer am Lenkrad tonnenschwerer geländegängiger SUVs zu ihrer Rettung beigetragen. Der Autor - Herausgeber des einflussreichen Blattes! - schreibt weiter: "Welcome to the modern-day Luddite movement, which once raged against the machine, but now targets the automobile. Just last month, environmentalists organized a "world car-free day," celebrated in more than 40 cities in the U.S. and Europe. In the left's vision of utopia, cars have been banished -- replaced by bicycles and mass transit systems. There is no smog or road congestion. And America has been liberated from those sociopathic, gas-guzzling, greenhouse-gas-emitting SUVs and Hummers that Jesus would never drive." Und zum Thema Energiesparen meint er pointiert: "[T]here is now a nearly maniacal obsession among policy makers and the Greens to conserve energy rather than to produce it. Even many of the oil companies are running ad campaigns on the virtues of using less energy (do the shareholders know about this?) - which would be like McDonald's advising Americans to eat fewer hamburgers because a cow is a terrible thing to lose. A perverse logic has taken hold among the intelligentsia that progress can be measured by how much of the earth's fuels we save ..." Seine Conclusio beweist uns seine Gelehrtheit und darüber hinaus profundes Verständnis südosteuropäischer Nachkriegsgeschichte: "Studies confirm that the more, not less, energy a nation uses and the more, not fewer, cars that it has, the more productive the workers, the richer the society, and the healthier the citizens as measured by life expectancy. When Albania abolished cars, it quickly became one of the very poorest nations in Europe."

Diese Zeiten des unverantworlichen Umgangs mit den Schätzen der Natur sind ein für alle Mal vorbei. Amerika ist ökosensibel geworden. Der Beweis ist der Aufmacher des Wall Street Journal vom 29./30. Oktober, der sich im Detail mit gefährdenten Ökosystemen auseinandersetzt. Zielgruppengerecht titelt man mit dem "Global Climate-Change Island Guide", der wohl den betuchteren vier, fünf Promille der Weltbevölkerung als Ratgeber dienen soll. Mit akribischer Genauigkeit werden die Für und Wider einer Investition in karibische, pazifische oder indische Inseln gegeneinander abgewogen. Erhöhte Hurrican-Häufigkeit aufgrund wärmerer Meeresströmungen? Aufgrund des Artensterbens ausgebleichte und damit ästhetisch entwertete Korallenriffe? Steigender Meeresspiegel? All diese Faktoren sollte der klimasensible Amerikaner beachten, will er seine Millionen nicht in riskante Wertanlagen stecken. Ob eine kleine tropische Parzelle mit Privatflugplatz oder gleich eine Insel für sich allein - für jede amerikanische Geldbörse wird etwas geboten. Ganz oben auf der Liste der begehrten Plätze steht die nordatlantische Prince Edwards Insel. Dort ist es so kalt, dass die schon jetzt deutlich messbare Erderwärmung einen willkommener Gruß der Zukunft darstellt. Auch auf lange Sicht bleibt es kühl genug, um Wirbelstürme mit einiger Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Ehemalige Luxusdestinationen wie die Florida Keys rangieren weiter unten, wurden sie doch von Rita und Wilma arg gebeutelt. Kritisch könnte es für die Bermudas werden, die nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie der Golfstrom bis in alle Ewigkeit warm hält. Abzuraten ist dem umweltbewussten Amerikaner von den Malediven, denen das Wasser schon jetzt sprichwörtlich bis zum Hals steht. Und natürlich sollte man nach Möglichkeit auch die indonesische Oase Sulawesi meiden, glauben provinzielle Politiker doch, mit einer Tauchersteuer die devisenbringenden amerikanischen Gönner verärgern zu dürfen.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich Amerika damit unzweifelhaft als umweltbewusst ausgewiesen hat. Hurra!

1 Comments:

Anonymous Anonymous said...

Anbei ein paar kurze Anmerkungen für den interessierten Leser deines Blogs! Bezüglich des Rückganges der Biodiversität in allen Klimazonen sei gesagt, dass Vielmehr eine Verschiebung der Vegetationszonen zu erwarten sein wird, die jedoch nicht zwangsläufig einen Artenverlust impliziert. Davon auszunehmen wären unter Umständen einige endemische Arten auf benannten atlantischen und pazifischen Eiländern - jene welche umweltbewusste Amerikaner sich aufgrund der zu erwartenden Klimakatastrophe schon jetzt als zukünftigen Lebensraum sichern. (Unsere deutschen Nachbarn haben diesen Weitblick ja noch nicht entwickelt und kaufen sich nach wie vor noch gerne in oberitalienischen Weingütern ein.) Wer hinsichtlich dieser "Bedrohung" nachhaltig investiert, erwirbt daher heute eine Landwirtschaft in der schönen Südsteiermark und setzt in weiser Vorraussicht schon ein paar Olivenbäumchen auf vormaligen Kürbisäckern aus. (Sicherlich würden sich Amerikanische Investoren für solch weitsichtige Projekte finden lassen.)

Aber genug des Spaßes, auch in dieser Hinsicht muss man differenzieren (Obwohl es nicht leicht fällt für Uncle Sam eine Lanze zu brechen). Unter anderem belegt dies das kürzlich eingeführte European Emissions Trading System: Es stellt praktisch das Beste aus verschiedenen U.S. Amerikanischen Emissionshandelssystemen dar!

Liebe Grüße

22 November, 2005 13:46  

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