16 October 2005

Kulturskeptizismus und sein Antidot

Schon seit Gymnasialzeiten mit einer gehörigen Portion kulturellen Selbstbewusstseins ausgestattet streift der Königsberger Zeitgenosse mit kritischen Sinnen durch seine sich in regelmäßigen Abständen fundamental ändernden Lebenswirklichkeiten. Blickt mal hier, hört mal dort, schnüffelt und schmeckt sich durch so manchen lukullischen Genuss, was seinem mitunter trockenen Juristendasein ("Die Interpretation findet ihre Grenze im Wortlaut der untersuchten Norm. Dahinter befindet man sich am Terrain der richterlichen Rechtsfortbildung, die ganz eigenen Begründungsnotwendigkeiten unterliegt." - Aber auch das kann Spaß machen!) ein zusätzliches Maß an Würze und Gehalt verleiht.
Doch skeptischer Analytiker bleibt ein Solcher und muss deshalb bedauerlicherweise oft zum Schluss kommen, dass allzu umjubelter Kulturgenuss nicht einmal das Papier jener Journaillen wert ist, die in den aufgeputschten, kommerzialisierten, heute würde man sagen "gehypten", Lobgesang auf das vermeintliche Opus Magnum dieses oder jenes Meisters einstimmen. Da wird das Konzert schnell zum Jahrhundertereignis, die Vernissage zum Event. Wenn es wenigstens ein Happening wäre, wie Heinrich Bölls Ende einer Dienstfahrt, die bei ihrem Erscheinen 1966 hochaktuelle antiautoritäre Komponenten mit profunden grundrechtlichen Fragestellungen zu verbinden wusste. Aber Event ... ein Armutszeugnis.
Aus diesem Grund will ich heute nicht über ein Event berichten, sondern über eine konzertant zur Aufführung gebrachte Oper in einem Akt. Nicht über einen leicht zu verdauenden Gassenhauer von, wen hätten wir da, naja, Mozart zum Beispiel, oder, noch besser, Verdi. Nein, es geht um Richard Strauss' Daphne. Gespielt nicht von einem medial "verstärkten" Starensemble sondern vom WDR Symphonieorchester Köln.
Am Pult stand souverän Semyon Bychkov, die unglaublich starke Sopranstimme Renée Flemings ließ des Zuhörers Herz übergehen, und auch der Apollo Johan Botha - der von seiner Statur her einem Falstaff glich - war wohl disponiert und tat sich in lichten Höhen leicht. Mir ward ganz ring ...
Neben mir saß Robert W. Kent, ein emeritierter Kommunikationswissenschafter von der Harvard University, mit dem ich schon Tschaikowskis Mazeppa (selbes Orchester, selber Dirigent) genossen hatte. Wir waren uns einig: Ein großer Tag für ein relativ unbekanntes Team. Schade, dass man davon in Europas Gazetten wahrscheinlich nicht lesen können wird. Zu sagen, der Abend wäre nur solide gespielt gewesen, wäre eine maßlose Untertreibung. Doch ängstlich winden wir uns um die Titulatur Jahrhundertperformance herum ... denn schließlich wollen wir solch erhebende Momente noch ein zweites Mal erleben dürfen.
Bei Decca ist übrigens gerade eine exzellente Einspielung der Fleming-Daphne erschienen. Sie kann uneingeschränkt empfohlen werden.

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